Diskussionsbeitrag im Vorfeld des SPD-Bundesparteitags

Auf ihrem letzten Parteitag im Dezember 2023 in Berlin hat die SPD bekräftigt, dass sie „als älteste demokratische Partei Deutschlands in der Tradition einer wirksamen internationalen Politik auf der Höhe der Zeit steht, die der Friedenssicherung und -förderung verpflichtet ist“. Doch wie sollte eine zeitgemäße Politik der Friedensicherung und -förderung aussehen? Darüber wird gerade innerhalb der Partei gestritten. Wie schon so oft in der Vergangenheit müssen sich die Verfechter einer kritischen Position zur „Parteilinie“ heftiger Kritik und mitunter auch persönlicher Angriffe erwehren. So und ähnlich erging es auch schon den Gegnern der Politik des „Burgfriedens“ im Jahr 1914 und den Architekten der „neuen Ostpolitik“ in den 1960er bis 1980er Jahren.

In der aktuellen Debatte haben die Urheber und Unterzeichner des Friedensmanifests ein wichtiges Zeichen gesetzt. Mit ihrem Engagement und ihrer Unterschrift werben sie dafür, den derzeitigen Kurs der Konfrontation und Hochrüstung durch eine Politik der Verhandlungen und Kooperation, der Rüstungskontrolle und Abrüstung zu ersetzen. Sie erachten eine starke, verteidigungsfähige Bundeswehr als notwendig. Doch im Sinne des Primats der Politik plädieren sie dafür, dass die legitimen Bestrebungen zur Wiederherstellung und Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und Europas „in eine Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung eingebettet sein“ müssen.

Ein Schlüsselkonzept des Manifests ist „gemeinsame Sicherheit“ – zwischen Russland und Europa, zwischen Israel und den Völkern und Staaten des Nahen Ostens, zwischen China und den USA. Der Begriff stammt aus dem Palme-Bericht „Gemeinsame Sicherheit: Eine Blaupause für das Überleben“, der von dem ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten geleiteten Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit („Palme-Kommission“) 1980–1982 im Auftrag der Vereinten Nationen erstellt wurde. Zentrale Elemente des Konzepts sind die Unteilbarkeit der Sicherheit und die Interdependenz der Staaten. Sicherheit ist nur mit und nicht gegen andere Staaten und Staatenbündnisse möglich. Damit dies gelingen kann, müssen alle Staaten Verantwortung übernehmen und in die Bemühungen für eine gemeinsame Friedensordnung einbezogen werden.

Das Konzept hat nichts an seiner Aktualität verloren. Allerdings ist die derzeitige weltpolitische Situation eine grundlegend andere als jene in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Heute sind wir in Europa und im Nahen Osten Zeugen hocheskalierter und opferreicher Kriege. Die UNO und das Völkerrecht haben massiv an Autorität und Durchsetzungskraft verloren. In den internationalen Beziehungen regiert immer mehr das Recht des Stärkeren zulasten der Stärke des Rechts. In einer zunehmenden Zahl von Staaten haben sich autoritäre Regime etabliert, die mit lügnerischer und bösartiger Propaganda die Bevölkerung manipulieren und gezielt Menschengruppen verächtlich machen und als Feinde denunzieren.

Doch ob in Russland, im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika – die Fortsetzung von Krieg, Aufrüstung und Konfrontation spielt fast überall den Autokraten in die Hände. In den demokratischen Gesellschaften in Europa werden die für die Aufrüstung unumgänglichen Einsparungen in Bereichen, wie Bildung und Forschung, Gesundheit und Soziales, Umwelt- und Klimaschutz sowie Infrastruktur und Digitalisierung, die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter untergraben. Auch davon werden die Gegner und Verächter von Sozialstaat, Demokratie und Vielfalt hierzulande profitieren.

Deshalb ist eine Umkehr dringend nötig! Der Parteitag ist das richtige Forum dafür, um über eine alternative Politik zu diskutieren. Ein Ergebnis der Debatte könnte die Einrichtung einer Kommission sein, die vom Parteitag beauftragt wird, die konzeptionellen Grundlagen für eine zeitgemäße Politik der Friedenssicherung und -förderung zu erarbeiten. Um das zu ermöglichen, brauchen wir dringend eine Versachlichung und kreative Anreicherung der innerparteilichen Debatte. Von der SPD könnte so ein wichtiger Impuls für die Öffnung und Demokratisierung des öffentlichen sicherheitspolitischen Diskurses über Fragen des Friedens und der gemeinsamen Sicherheit ausgehen.

Die SPD-Führung muss dabei vorangehen und Flagge zeigen. Das Thema gehört auf die Agenda des Parteitages! Mein Team und ich unterstützen die entsprechenden Vorschläge aus den verschiedenen Gliederungen und Foren der Partei.