Gute Bildungschancen für alle - vom Kindergarten bis zum lebenslangen Lernen

Bildung für alle – Tradition und Gegenwart

Ein Blick aus dem Fenster des SPD-Büros in Wittenberg erinnert uns daran, dass die Öffnung der Bildung für breite Bevölkerungsschichten eine Tradition hat, die auch mit diesem Ort verbunden ist. Denn wir blicken auf das restaurierte Haus des Luther-Mitstreiters Philip Melanchthon. Auch bekannt als „Lehrer der Deutschen“ engagierte sich Melanchthon für die allgemeine Bildung – unabhängig von der Kirche – und plädierte für die allgemeine Schulpflicht, um jedem Menschen die für das gesellschaftliche Zusammenleben nötigen Fähigkeiten an die Hand zu geben. Damit hatte er nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Schul- und Universitätswesens in Deutschland und weltweit.

Seit über 150 Jahren setzt sich die Sozialdemokratie in Deutschland für den Aufstieg durch Bildung ein. Vor gut hundert Jahren gelang die Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Deutschland in ihrer heutigen Form, verankert in der Weimarer Verfassung. Eine im weitesten Sinne emanzipatorische Bildungspolitik gehört zum traditionellen und modernen „Markenkern“ der Sozialdemokratie. Dies bedeutet hier und jetzt: Alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, von ihrem Wohnort, von ihrem Geschlecht oder möglichen Beeinträchtigungen sollen Zugang zu guter Bildung erhalten. Denn: Gerechtigkeit fängt bei der Bildung an.

Trotz aller Fortschritte sind Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit nach wie vor nicht für alle gegeben. Erfolgschancen junger Menschen hängen stark von der Bildung und dem Geldbeutel ihrer Eltern ab – in Deutschland stärker als anderswo in Europa. In jüngster Zeit hat die Coronakrise die Unterschiede des Zugangs zu Lernmöglichkeiten weiter verschärft. Die Versäumnisse und Zögerlichkeiten bei der Modernisierung unseres Bildungssystems sind gerade in der Pandemie deutlich geworden. Von adäquat umsetzbaren Konzepten für Digital- und Wechselunterricht sind wir in Sachsen-Anhalt weit entfernt.

Unser Bildungswesen steht unter hohem Druck, Versäumtes aufzuholen, auf Erreichtem aufzubauen und neue Herausforderungen zu meistern.

Die mehrfache Aufgabe der schulischen Bildung

Bildung ist ein lebenslanger Prozess, den jede Person entsprechend ihrer Anlagen und Neigungen, ihrer Umwelt und den ihr gebotenen Chancen für sich selbst durchläuft und gestaltet. Als Gesellschaft nehmen wir auf diesen Prozess erheblichen Einfluss durch die formalen Institutionen des Bildungssystems: Schule, Ausbildung, Hochschule. Darüber hinaus sind die Förderung der frühkindlichen Entwicklung, etwa durch Unterstützung junger Eltern und gute Kindergarten-Betreuung, und informelle Bildungsangebote in jeder Lebensphase wichtige gesellschaftliche Aufgaben, die auch einer staatlichen Förderung bedürfen.

Der schulischen Bildung kommt eine mehrfache Aufgabe zu, die ich hier in drei Punkten zusammen fassen möchte: 1) Sie soll jungen Menschen die Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die sie zu weiterem berufs- oder fachspezifischen Lernen befähigt und ihnen eine wirtschaftlich produktive und auskömmliche Tätigkeit ermöglicht. 2) Sie soll Kompetenzen nicht nur zum „Hineinpassen“ in Arbeitswelt und Gesellschaft, sondern auch zu deren Mitgestaltung fördern. 3) Sie soll Lebenskompetenzen für das Verwirklichen der eigenen Potenziale und den Umgang mit anderen Menschen, für Gesundheit, Wohlergehen und Lebenszufriedenheit stärken.

Es ist wichtig, dass Bildungsplaner und Lehrkräfte diese Ziele gleichzeitig vor Augen haben. Um Schritt zu halten mit den rasanten technologischen und digitalen Entwicklungen, wird in modernen Lehrplänen zu Recht großer Wert auf die sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gelegt. Dies darf aber nicht zu Lasten von Fächern und Inhalten gehen, die für das Demokratieverständnis wichtig sind, wie etwa des Faches Gemeinschaftskunde, welches bundesweit immer wieder offenen oder verdeckten politischen Kontroversen ausgesetzt ist. Essenziell sind auch ein vielseitiger Sportunterricht und schulische Gesundheitsförderung. Angesichts des stetig wachsenden Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen und verbreiteten Risiken der Isolierung vor dem Bildschirm ist ihre Funktion umso bedeutender.

Zu den dringend benötigten neuen Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Digitalisierung gehört nicht nur Kompetenz in der Informatik und im technischen Umgang mit den neuen Medien. In einer Welt, in der die Menge an Informationen schier unendlich scheint, sind auch Medienkompetenzen und Argumentationstechniken zentral. Um an der gesellschaftlichen Debatte teilzunehmen, Information einzuordnen, Hetze und Cybermobbing zu erkennen, ist es wichtig, sich mit Inhalten und Reaktionen darauf kritisch auseinander zu setzen.

Die MINT-Fächer wiederum sollten nicht allein auf das Beheben eines aktuell gesehenen Fachkräftemangels ausgerichtet sein, sondern auch Teil fächerübergreifender Unterrichtskonzepte zur Stärkung der sozialen und staatsbürgerlichen Kompetenz. Dazu gehört das Verständnis des Klimawandels und der Strategien zu seiner Bewältigung. Die Pandemie hat gezeigt, wie fatal es sein kann, wenn im Mathematikunterricht der Bezug zum Alltagsleben fehlt und viele Menschen in der Schule nicht wirklich gelernt haben, was exponentielles Wachstum oder Abfallen bedeutet. Ein solides Grundverständnis über Risiken und Wahrscheinlichkeiten ist ein weiteres Beispiel für eine wichtige Alltagskompetenz, deren Bedeutung in Zeiten der Pandemie - z.B. in der Impf-Kommunikation - besonders deutlich hervorgetreten ist.

Für welche spezifischen Anliegen setze ich mich ein?

Ich stehe für gute Bildungschancen für alle von der Wiege bis zur Bahre. Das Landeswahlprogramm der SPD ist eine gute Grundlage, um diesen Anspruch gemeinsam umzusetzen. Einige Aspekte möchte ich besonders herausheben.

Um bereits vor dem Schulalter den Weg für die Teilhabe an Bildung zu ebnen und gleichzeitig Eltern das Vereinbaren von Familie und Beruf zu erleichtern, gibt es in Sachsen-Anhalt den bundesweit vorbildlichen Rechtsanspruch auf eine Betreuung und frühkindliche Bildung von der Geburt des Kindes bis zum Ende der 6. Schulklasse entsprechend des Kinderförderungsgesetzes (KiföG).

Zur besseren Finanzierung und Ausstattung der Schulen brauchen wir ein starkes und breit gefächertes Investitionsprogramm. Bei der Bildung darf nicht weiter gespart werden. Dazu gehört eine grundsätzliche Lernmittelfreiheit, natürlich für digitale wie für analoge Lernmittel. Die Corona-Situation und die daraus gelernten Lektionen erfordern neue Raumkonzepte in Schulen, sowohl unmittelbar als auch längerfristig – von Belüftungsanlagen und flexibler Raumnutzung hin zu einer modernen „Bildungsarchitektur“ bei Sanierungen und Neubauten. Mittel aus dem Digitalpakt müssen besser genutzt werden, um die Schulen auch tatsächlich in die Lage zu versetzen, den Digital- und Wechsel-Unterricht verlässlich zu organisieren; u.a. mit Unterstützung durch Systemadministratoren und Bereitstellung einer etablierten Lernplattform.

Der Lehrkräftemangel in Sachsen-Anhalt sorgt seit Jahren für Unterrichtsausfall. Neben mehr Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen und angemessener Qualifizierung für Quer- und Seiteneinsteiger*innen zur Sicherung des mittelfristigen Bedarfs müssen wir auch sicherstellen, dass die bei uns ausgebildeten Lehrkräfte tatsächlich schnell und zuverlässig in ihren Beruf kommen. Denn immer noch wandern viele in andere Bundesländer ab. Wir brauchen ausreichend Referendariatsplätze für Absolvent*innen des Lehramts in Sachsen-Anhalt, damit eine Garantie auf einen Platz besteht. Wichtig ist dabei auch die faire Vergütung ohne Unterscheidung nach Schulformen. Darüber hinaus sollen mehr Durchlässigkeit und Flexibilität beim Einsatz und Entlastung von verwaltungstechnischen Aufgaben dazu beitragen, dem bestehenden Mangel abzuhelfen.

An unseren Universitäten brauchen wir mehr Lehramtsplätze und frühzeitige Schulpraktika während des Studiums sowie eine optimierte Beratung bezüglich der Fächerwahl, um Lehramtsstudierende besser auf ihre spätere Tätigkeit vorzubereiten. Stärkung des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung und seiner Vernetzung mit den Instituten anderer Bundesländer, systematische Nutzung wissenschaftlicher Expertise, bessere Verzahnung der Phasen der Lehrkräftebildung sowie von Schule und Hochschule - das sind wesentliche Ansätze, um unsere Schulen für die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu wappnen. Unmittelbar und dringend brauchen wir ausreichende, qualitätsgesicherte Fortbildungs- und Coaching-Angebote für den digitalen Unterricht und für Inklusion von Kindern mit besonderem Förderbedarf.

Gut ausgestattete, konzeptionell starke Gemeinschaftsschulen und inklusive Lernkonzepte stellen das gemeinsame Lernen und gleichzeitig das Fördern jedes einzelnen Kindes in den Vordergrund - anders als ein starres Schulsystem, das nicht nur dem Lernen, sondern auch dem frühzeitigen „Einsortieren“ und nicht selten „Aussortieren“ dient. Bei guter Konzeption und Umsetzung erhöhen sie die Chancengleichheit und verbessern die Möglichkeiten für jedes einzelne Kind – auch für Kinder mit Behinderung oder anderen Einschränkungen und solche mit herausragenden Begabungen – für sich selbst und in Gemeinschaft seine Potenziale zu entfalten. Sie ermöglichen zudem wohnortnahe Beschulung für alle Schulabschlüsse bis zum Abitur. Besondere Förderkonzepte und Zusammenwirken mit anderen Schulangeboten – als Ergänzung, nicht in Konkurrenz – gehören dazu. Die Wohnortnähe soll vor allem auch im ländlichen Raum gewahrt werden, da hier sonst immer mehr Schulen aufgrund von Mindestschüler*innenzahlen oder anderer Vorgaben zur Schließung gezwungen werden. Innerhalb des traditionellen, dreigliedrigen Schulsystems müssen Hürden beim Wechsel zwischen den Schulformen und beim erfolgreichen Schulabschluss abgebaut werden.

Die duale Berufsbildung mit kombinierter Lehre und Berufsschule qualifiziert erfolgreich Fachkräfte für das Berufsleben, wofür sie auch im Ausland als Vorbild gilt. Während ihr guter Ruf außerhalb Deutschlands bekannt ist, gilt es hier vor Ort an ihrer Attraktivität und Flexibilität zu arbeiten. Mit der Einrichtung von Jugendberufsagenturen, die junge Menschen bei der Berufswahl beraten und Auszubildende und Lehrstellen zusammen bringen, und Maßnahmen wie der Einführung des Azubi-Ticket Sachsen-Anhalt für den öffentlichen Nahverkehr werden langjährige SPD-Forderungen erfüllt. Bei der Verzahnung von Theorie und Praxis besteht in vielen Lehrberufen noch Verbesserungsbedarf. - Damit junge Menschen sich leichter für einen sozialen Beruf entscheiden können, muss Ausbildung in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen vergütet werden. Dies ist gleichzeitig auch ein wichtiger Schritt zur Überwindung nachteiliger Geschlechtsunterschiede in der Berufswahl und bei der Vergütung. Denn Männer wenden sich eher als Frauen gezielt den besser bezahlten Berufen zu, und Berufe, in denen mehr Männer tätig sind, werden besser bezahlt.

Sachsen-Anhalt ist ein attraktiver Hochschulstandort, und seine Hochschulen bieten eine breite Palette von Studienfächern. Um die für das Land so wichtige Hochschullandschaft zu erhalten und gleichzeitig die regionale Wirtschaft zu fördern, ist im SPD-Landesprogramm ausdrücklich eine stärkere Verknüpfung von Privatwirtschaft und aus deren Perspektive besonders relevanten Studiengängen vorgesehen. Dies ist ein wichtiger und pragmatischer Schritt. Gleichzeitig ist auf eine sorgfältige Auswahl der Kooperationspartner und auf die Erhaltung akademischer Unabhängigkeit zu achten. - Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), vor über 40 Jahren von der SPD eingeführt, bleibt eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Jugendliche unabhängig von ihrer Herkunft die Chance haben zu studieren. Um den seit einigen Jahren festzustellenden „Sinkflug des BAföG“ zu stoppen und die prekäre Lage von Studierenden in der Corona-Krise zu erleichtern, ist eine erneute Reform auf Bundesebene erforderlich.

Das Erwerben von Wissen und Können geht weit über die Schule hinaus. Es ist wichtig für das Sich-Einbringen in die Gesellschaft, welche sich stets im Wandel befindet. Deswegen muss es auch vielseitige und hochwertige Bildungsangebote zum lebenslangen Lernen geben. Darunter fällt ein weites Spektrum von Angeboten, von bildungsorientierten Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über Kurse z.B. an der Volkshochschule bis zum Erwerb von nachholenden Schulabschlüssen (zweiter Bildungsweg) oder einem Studium im fortgeschrittenen Alter.

Mit einer längerfristigen Perspektive trete ich dafür ein, über eine gerechte Steuerpolitik die weltweit und in Deutschland immer weiter klaffende Schere zwischen Finanzausstattung der öffentlichen Haushalte einerseits und Anhäufung von Vermögen bei dem reichsten ein Prozent der Bevölkerung andererseits wieder ein wenig zu schließen. Dazu gehören Elemente wie Finanztransaktionssteuer, Besteuerung internationaler Internet-Giganten (Digitalsteuer), stärkere Besteuerung sehr großer Vermögen und Abkommen zum Schließen von „Steuerschlupflöchern“.

Unmittelbar setze ich mich dafür ein, dass wir bestehende Finanzierungsmöglichkeiten aus Mitteln des Landes, des Bundes und der Europäischen Union gezielt und energisch für wichtige Bildungsinvestitionen mobilisieren und nutzen. Auch auf die Beiträge privater Stiftungen und Unternehmen können wir nicht verzichten. Dabei müssen wir auf eine bedachte Auswahl der privaten Partner und sorgfältige Gestaltung von Verträgen achten. Interessenkonflikte müssen transparent gemacht werden. Die Schaffung langfristiger Abhängigkeiten von bestimmten kommerziellen Anbietern, wie z.B. bei Software oder verschiedenen Technologien, ist zu vermeiden. Besonders sensibel ist das Engagement privater Unternehmen an Schulen – so darf es z.B. nicht passieren, dass Hersteller zuckerreicher Nahrungsmittel an Lehrplänen zum Thema gesunde Ernährung mitwirken.

An der Notwendigkeit angemessener öffentlicher Investitionen für gute Bildung führt kein Weg vorbei.